Risikomanagement in der Arztpraxis

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Das Wichtigste auf einen Blick

  • Gesetzliche Pflicht und Haftungsschutz: Risikomanagement in der Arztpraxis ist weit mehr als Bürokratie; es ist eine nach § 135a SGB V und QM-Richtlinie zwingende Führungsaufgabe, die als juristische und wirtschaftliche „Lebensversicherung“ gegen Organisationsverschulden und Regressforderungen fungiert.
  • Methodik und Instrumente: Die operative Umsetzung erfolgt über den kontinuierlichen PDCA-Zyklus (Plan-Do-Check-Act), wobei Pflichtinstrumente wie CIRS (Fehlermeldesysteme), SOPs und Checklisten genutzt werden, um klinische, technische und organisatorische Risiken systematisch zu identifizieren, zu bewerten (Risikomatrix) und durch eine gelebte „No-Blame-Culture“ zu entschärfen.
  • Existenzielle Konsequenz: Während fehlende Dokumentation im Schadensfall zur fatalen Beweislastumkehr zulasten des Arztes und zu Honorarkürzungen führt, steigert ein valides Risikomanagement nachweislich die Patientensicherheit, schützt die Reputation und erhöht den materiellen Praxiswert.

Was ist Risikomanagement in der Arztpraxis?

Das Risikomanagement in der Arztpraxis ist ein zentrales Element des Qualitätsmanagements und gesetzlich in § 135a SGB V verankert. Es dient der systematischen Früherkennung von Fehlern, um die Versorgungsqualität zu sichern und Haftungsschäden zu vermeiden. Ein effektives Risikomanagement orientiert sich dabei an 5 Grundprinzipien:

  1. Risiko vermeiden: Der beste Fehler ist der, der gar nicht erst passiert. Durch vorausschauende Planung, klare Standards und eine etablierte Sicherheitskultur werden unnötige Risiken von vornherein ausgeschlossen.
  2. Risiko identifizieren: Hier erfolgt die systematische Erfassung möglicher Fehlerquellen. Dies geschieht durch ein proaktives Fehlermanagement (z. B. CIRS – Critical Incident Reporting System) sowie regelmäßige Teambesprechungen, um Gefahren frühzeitig zu erkennen.
  3. Risiko analysieren: Nach der Identifikation werden die Risiken genau untersucht: Was sind die Ursachen? Welche Prozesse in der Praxis sind betroffen und welche Zusammenhänge bestehen?
  4. Risiko bewerten: Auf Basis der Analyse erfolgt die Einstufung des Risikos mithilfe einer Risikomatrix. Dabei werden die Eintrittswahrscheinlichkeit und das potenzielle Schadensausmaß gegeneinander abgewogen, um den Handlungsbedarf zu priorisieren.
  5. Risiko behandeln: Im letzten Schritt erfolgt die aktive Steuerung. Es werden konkrete präventive Maßnahmen umgesetzt, um die identifizierten Fehlerquellen zu beseitigen und die Patientensicherheit nachhaltig zu gewährleisten.
Infografik der 5 Prinzipien des Risikomanagements: vermeiden, identifizieren, analysieren, bewerten und behandeln.
Die systematische Anwendung dieser fünf Grundprinzipien bildet das Fundament für ein effektives Risikomanagement und erhöhte Patientensicherheit in der Arztpraxis.

Durch diesen Kreislauf wird aus bloßer Fehlerverwaltung eine gelebte Sicherheitskultur.

Risikomanagement dient dem Umgang mit potenziellen Risiken, der Vermeidung und Verhütung von Fehlern und unerwünschten Ereignissen und somit der Entwicklung einer Sicherheitskultur. Dabei werden unter Berücksichtigung der Patienten- und Mitarbeiterperspektive alle Risiken in der Versorgung identifiziert und analysiert sowie Informationen aus anderen Qualitätsmanagement-Instrumenten, insbesondere die Meldungen aus Fehlermeldesystemen genutzt. Eine individuelle Risikostrategie umfasst das systematische Erkennen, Bewerten, Bewältigen und Überwachen von Risiken sowie die Analyse von kritischen und unerwünschten Ereignissen, aufgetretenen Schäden und die Ableitung und Umsetzung von Präventionsmaßnahmen. Ein relevanter Teil der Risikostrategie ist eine strukturierte Risikokommunikation.

Die Definition von Risikomanagement. Quelle: QM-RL des G-BA.

Warum ist ein explizites Risikomanagement gesetzlich und strategisch notwendig?

Viele Praxisinhaber empfinden das Risikomanagement als bürokratische „Pflichtübung“. Dieser Blickwinkel ist gefährlich. Faktisch fungiert ein etabliertes RM als Lebensversicherung Ihrer Arztpraxis – juristisch wie wirtschaftlich. Es ist eine direkte Führungsaufgabe, die Sie nicht vollständig delegieren können.

Warum Sie das Thema nicht an Ihre QM-Beauftragte delegieren und vergessen sollten, verdeutlicht das Zusammenspiel aus Gesetz und Richtlinie:

  1. Das „Muss“: Gesetz und Richtlinie
    1. Die Verbindlichkeit ergibt sich aus einer Kaskade, die keinen Interpretationsspielraum lässt:
      1. Die Basis (§ 135a SGB V): Sie sind gesetzlich verpflichtet, Leistungen nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erbringen und die Qualität stetig zu sichern.
      2. Die Konkretisierung (QM-RL): Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) definiert in seiner QM-Richtlinie die Spielregeln für das gesamte Gesundheitswesen. Während Sie bei manchen QM-Instrumenten (je nach Praxisgröße) Spielräume haben, gilt dies nicht für das Risikomanagement.
      3. Was konkret gefordert wird: Laut QM-RL umfasst ein valides Risikomanagementsystem die systematische Identifikation von Risiken, die Analyse kritischer Ereignisse und die Ableitung von Präventionsmaßnahmen.. Ziel ist eine gelebte Sicherheitskultur.
  2. Ihr Schutzschirm: Keine Angst vor Transparenz
    1. Viele Ärzte scheuen die Dokumentation von Fehlern („Warum soll ich Beweise gegen mich selbst sammeln?“). Hier greifen zwei Schutzmechanismen:
      1. Der juristische Schutz (§ 135a Abs. 3 SGB V): Der Gesetzgeber garantiert, dass Meldungen aus internen Risikomanagement-Systemen im Rechtsverkehr nicht zum Nachteil des Meldenden verwendet werden dürfen (außer bei schwersten Straftaten).
      2. Der interne Schutz (Anonymität): Die QM-RL fordert explizit, dass Fehlermeldungen (CIRS) freiwillig, anonym und sanktionsfrei erfolgen müssen. Es geht um das Lernen aus Fehlern, nicht um die Suche nach Schuldigen.
  3. Das Haftungsrisiko: Organisationsverschulden
    1. Ohne diese Instrumente laufen Sie in ein offenes Messer. Wirft ein Patient Ihnen einen Organisationsmangel vor (z. B. fehlende Checklisten bei operativen Eingriffen oder Hygienemängel), greift oft die Beweislastumkehr, welche durch das Patientenrechtegesetz gestärkt wird. Ohne dokumentiertes Risikomanagement gemäß QM-RL können Sie kaum beweisen, dass Sie alle Maßnahmen zur effektiven Risikobewältigung getroffen haben. Gerichte werten dies schnell als Organisationsverschulden. 
  4. Die strategische Kür (Wirtschaftlichkeit)
    1. Abseits der Paragrafen sichert RM Ihre wirtschaftliche Existenz:
      1. Liquiditätsschutz: Vermeidung von Regressforderungen durch Behandlungsfehler oder DSGVO-Verstöße.
      2. Reputation: In Zeiten von Online-Bewertungen sind organisatorische Mängel „tödlich“ für den Ruf.
      3. Praxiswert: Ein nachweislich strukturierte Praxis (mit gelebtem QM-System gemäß Anlage 1 QM-RL) erzielt beim Praxisverkauf signifikant höhere Preise.

Betrachten Sie Risikomanagement nach dem „Swiss-Cheese-Modell“ (James Reason): Es verhindert, dass sich kleine, alltägliche Fehler – die „Löcher im Käse“ – zu einem Katastrophenfall aufsummieren. Nutzen Sie die Vorgaben der QM-RL nicht als Zwang, sondern als Checkliste für Ihre Sicherheit. Denn: Wer schreibt (und dokumentiert), der bleibt – auch im Haftungsfall.

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In welche Kategorien lassen sich die Praxisrisiken unterteilen?

Um bei der Risikoanalyse nicht den Überblick zu verlieren, empfiehlt sich eine Clusterung der Gefahren. Die Praxis zeigt, dass eine Unterteilung in vier Sektoren für das ambulante Setting ideal ist. Diese decken sich weitgehend mit den Grundelementen und Anwendungsbereichen der QM-Richtlinie.

Nutzen Sie diese Struktur als Schablone, um „blinde Flecken“ in Ihrer Arztpraxis aufzudecken:

  1. Klinische Risiken (Patientensicherheit)
    1. Dies ist der sensibelste Bereich („Leib und Leben“). Hier macht der Gesetzgeber die strengsten Vorgaben. Laut QM-RL müssen Sie u. a. folgende Felder zwingend regeln:
      1. Diagnose & Therapie: Gefahren durch Fehlinterpretationen, übersehene Befunde oder Indikationsfehler.
      2. Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS): Ein Pflichtmodul der QM-RL. Risiken entstehen durch Wechselwirkungen, falsche Dosierung oder fehlende Anamnese von Allergien.
      3. Hygienemanagement: Prävention von nosokomialen Infektionen und Instrumentenaufbereitung.
      4. Notfallmanagement: Ist Ihr Team trainiert? Die QM-RL fordert regelmäßige Notfalltrainings und eine geprüfte Notfallausstattung.
      5. Schmerz- & Sturzmanagement: Haben Sie Prozesse für Schmerzpatienten oder Stolperfallen-Analysen (Sturzprophylaxe)?
  2. Organisatorische und personelle Risiken
    1. Oft entstehen Fehler nicht durch mangelndes Fachwissen, sondern durch „Sand im Getriebe“ der Abläufe.
      1. Schnittstellenprobleme: Informationsverlust bei der Übergabe (z. B. Arzt an MFA, Praxis an Labor oder Klinik). Ein systematisches Schnittstellenmanagement ist daher gefordert.
      2. Verantwortlichkeiten: Unklare Zuständigkeiten führen zu Fehlern („Ich dachte, du machst das“). Die QM-RL verlangt eine schriftliche Festlegung der Kompetenzen.
      3. Dokumentationslücken: Nicht dokumentierte Aufklärungen sind im Haftungsprozess fatal (Beweislast!).
      4. Personalausfall: Risiken durch Krankheit von Schlüsselpersonal oder Fachkräftemangel.
  3. Technische und infrastrukturelle Risiken
    1. Ohne funktionierende Technik und sichere Daten steht der Praxisbetrieb still.
      1. Informationssicherheit & Datenschutz: Ein Grundelement nach § 3 QM-RL. Dazu gehören Schutz vor Cyberangriffen (Ransomware), Backups und Zugriffskontrollen.
      2. Medizintechnik (MPDG): Ausfall lebenswichtiger Geräte oder versäumte Wartungsintervalle.
      3. Gebäude & Sicherheit: Brandschutz, Stromausfall oder bauliche Mängel im Wartebereich.
  4. Wirtschaftliche und rechtliche Risiken
    1. Diese Risiken bedrohen die Arztpraxis als Wirtschaftsunternehmen, sind aber oft eine Folge von Mängeln in den Punkten 1–3.
      1. Regresse & Abrechnung: Rückforderungen durch KV oder PKV (z. B. bei Plausibilitätsprüfungen).
      2. Haftungsrecht: Zivilrechtliche Klagen von Patienten nach Behandlungsfehlern.
      3. Reputation: Negative Bewertungen auf Arztbewertungsportalen aufgrund organisatorischer Mängel (Wartezeiten, Unfreundlichkeit).

Wollen Sie mit der Risikoanalyse starten? Beginnen Sie gemäß der QM-Richtlinie bei den sicherheitsrelevanten Prozessen. Konkret: Prüfen Sie zuerst das Notfallmanagement und die Arzneimittelsicherheit. Hier ist das Schadenspotenzial am höchsten und der Gesetzgeber prüft am genauesten.

Wie läuft der Risikomanagement-Prozess operativ ab?

Risikomanagement ist kein einmaliges Projekt („Fire and Forget“), sondern ein kontinuierlicher Kreislauf. Die QM-Richtlinie orientiert sich hierbei am etablierten PDCA-Zyklus (Plan – Do – Check – Act).

Grafik des PDCA-Zyklus mit den Phasen Plan, Do, Check und Act als Basis für strukturiertes Risikomanagement.
Der PDCA-Zyklus (Plan-Do-Check-Act) bildet das fundamentale Rahmenwerk, um das Risikomanagement in der Arztpraxis kontinuierlich zu überwachen und zu optimieren.

Phase 1: Identifikation (Bestandsaufnahme)

Bevor Sie handeln können, müssen Sie wissen, wo potenzielle Gefahrenquellen lauern. Ziel ist eine „ehrliche“ Liste aller potenziellen Bedrohungen. Nutzen Sie dafür nicht nur das Bauchgefühl, sondern harte Datenquellen: 

  • Die Gefährdungsbeurteilung (Arbeitsschutz): Nutzen Sie die Erkenntnisse aus Ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung (psychische Belastung, Arbeitsplatzsicherheit). Der Zusammenhang: Wo Mitarbeiter gefährdet sind (z. B. durch Überlastung, Stress oder unergonomische Abläufe), steigt statistisch auch das Risiko für Behandlungsfehler massiv an. 
  • Risiko- & Gefährdungsanalyse (Schutzkonzepte): Spezifisch für vulnerable Gruppen (z. B. Kinder) fordert die QM-RL eine gesonderte Analyse zur Prävention von Gewalt und Missbrauch.
  • Aktives Suchen (CIRS & Team): Nutzen Sie Teambesprechungen („Was ist fast schiefgegangen?“) und Fehlermeldesysteme. Ermutigen Sie Mitarbeiter, Beinahe-Fehler anonym zu melden – dies muss laut Richtlinie sanktionsfrei möglich sein.

Patienten-Feedback: Nutzen Sie ein strukturiertes Beschwerdemanagement in Ihrer Arztpraxis, um Beschwerden gezielt auszuwerten. Oft weisen Patienten auf organisatorische Schwachstellen hin, die das Team „betriebsblind“ übersehen hat

Vermeiden Sie Betriebsblindheit, indem Sie aktiv das CIRSmedical DeutschlandPlus nutzen. Dieses anonyme Lernsystem erlaubt Ihnen den Zugriff auf kritische Ereignisse anderer medizinischer Einrichtungen, um gezielt aus den Fehlern Dritter zu lernen. Nutzen Sie diese externen Erfahrungen, um eigene Schwachstellen frühzeitig zu identifizieren und Ihre Patientensicherheit proaktiv zu stärken, bevor ein Schaden entsteht.

Phase 2: Analyse & Bewertung

Nicht jedes Risiko erfordert sofortiges Handeln. Um Ihre Ressourcen zu schonen, müssen Sie priorisieren. Nutzen Sie eine Risikomatrix, um den Handlungsbedarf zu ermitteln:

  1. Eintrittswahrscheinlichkeit: Wie oft könnte das passieren? (Selten bis Häufig)
  2. Schadensausmaß: Welche Folgen hätte es für Patienten oder die Praxis? (Bagatelle bis Katastrophe)

Die Formel: Wahrscheinlichkeit × Schaden = Risikopriorität. Kritische Risiken (z. B. hoher Schaden bei mittlerer Wahrscheinlichkeit) müssen sofort behoben werden.

Farbige Risikomatrix nach Nohl zur Bewertung von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß im Risikomanagement.
Die Risikomatrix nach Nohl ermöglicht eine systematische Einordnung von Gefahrenpotenzialen und dient als Entscheidungsgrundlage für notwendige Maßnahmen im Risikomanagement der Arztpraxis.

Phase 3: Steuerung (Die Maßnahmen)

Jetzt entscheiden Sie, wie Sie mit dem bewerteten Risiko umgehen. Hier greifen die vier klassischen Strategien:

  • Vermeidung: Sie eliminieren das Risiko komplett (z. B. Verzicht auf ein fehleranfälliges Gerät oder eine risikoreiche IGeL-Leistung).
  • Verminderung: Sie reduzieren die Wahrscheinlichkeit oder den Schaden.
    • Beispiel: Einsatz von Checklisten vor OPs oder das Vier-Augen-Prinzip bei Medikamenten.
  • Überwälzung: Sie lagern das finanzielle Risiko aus (z. B. durch eine Berufshaftpflicht- oder Cyberversicherung).
  • Akzeptanz: Bei sehr kleinen „Restrisiken“ tragen Sie das Risiko bewusst, weil der Aufwand zur Vermeidung unverhältnismäßig wäre (dokumentierte Entscheidung!).

Phase 4: Überwachung (Monitoring)

Dies ist der Schritt, der am häufigsten vergessen wird – und den die QM-Richtlinie explizit fordert. Prüfen Sie regelmäßig: Wirken unsere Maßnahmen? Sind die Fehler nach Einführung der Checkliste zurückgegangen? Die QM-RL verlangt, dass die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen evaluiert wird. Ist das Ergebnis unzureichend, beginnt der Zyklus von vorn (Act).

Welche Instrumente sind für die Umsetzung im QM unverzichtbar?

Ein effektives Risikomanagement scheitert selten am Willen, sondern an fehlender Methodik. Um Risiken beherrschbar zu machen, schreibt die QM-Richtlinie in § 4 konkrete Methoden vor. Diese sind für Vertragsärzte verpflichtend anzuwenden.

Die folgenden vier Instrumente bilden das gesetzliche „Standard-Besteck“ jeder sicheren Arztpraxis:

  1. CIRS (Fehlerberichts- und Lernsystem)
    1. Das „Critical Incident Reporting System“ ist das Herzstück der Sicherheitskultur. Laut QM-RL muss es jedem Mitarbeiter niederschwellig zugänglich sein.
      1. Das Prinzip: Ein Meldesystem, in dem das Team kritische Ereignisse und „Beinahe-Fehler“ (Near Misses) dokumentiert.
      2. Die Spielregel: Die Meldungen müssen freiwillig, anonym und sanktionsfrei erfolgen. Es geht nicht um Schuld, sondern um Ursachenforschung.
      3. Der Nutzen: Es gilt das Eisberg-Prinzip. Wer Beinahe-Fehler analysiert (z. B. „Ampulle fast verwechselt, weil Design ähnlich“), verhindert den echten Schadensfall proaktiv. Ziel ist die Ableitung von Präventionsmaßnahmen.
  2. SOPs (Standard Operating Procedure, Standardvorgehensweise) und Checklisten
    1. Das menschliche Gedächtnis ist unter Stress fehleranfällig. Die QM-RL fordert daher schriftliche Prozess- bzw. Ablaufbeschreibungen für alle wesentlichen Vorgänge.
      1. SOPs (Die Regel): Definieren Sie Verantwortlichkeiten schriftlich – besonders für sicherheitsrelevante Prozesse. Jeder muss wissen: Wer macht was, wann und wie?
      2. Checklisten (Die Kontrolle): Sie systematisieren Einzelaspekte, um eine verlässliche Umsetzung zu garantieren. Wichtig für Operateure: Bei Eingriffen unter Sedierung oder mit mehreren Ärzten sind OP-Checklisten (z. B. Team-Time-Out zur Vermeidung von Verwechslungen) zwingend vorgeschrieben.
  3. Strukturierte Teambesprechungen
    1. Risikomanagement ist Kommunikation. Ein Großteil der Fehler entsteht durch Informationsverlust an Schnittstellen.
      1. Die Anforderung: Es müssen regelmäßig strukturierte Besprechungen stattfinden, in denen alle Mitarbeiter Probleme ansprechen können.
      2. Die Umsetzung: Machen Sie „Risiken & Fehler“ zum festen Tagesordnungspunkt. Protokollieren Sie Ergebnisse, um die Verbindlichkeit zu erhöhen (Wer erledigt was bis wann?).
      3. Die Kultur: Etablieren Sie eine „No-Blame-Culture“. Wenn Mitarbeiter Angst vor Tadel haben, schweigen sie über Risiken. Das ist gefährlich.
  4. Patienten-Feedback & Beschwerdemanagement
    1. Patienten sehen Dinge, für die das Fachpersonal oft betriebsblind ist. Die QM-RL verlangt daher zwei Kanäle:
      1. Beschwerdemanagement: Eine geregelte Bearbeitung von Kritik. Eine Beschwerde über „Indiskretion an der Anmeldung“ ist keine Nörgelei, sondern ein Hinweis auf ein Datenschutz-Risiko.
      2. Patientenbefragungen: Führen Sie diese regelmäßig durch. Die Ergebnisse liefern wertvolle Daten zur Versorgungsqualität aus Patientensicht und decken organisatorische Schwachstellen auf.

Erfinden Sie das Rad nicht neu. Die KBV bietet mit „Mein PraxisCheck“ kostenlose Selbsttests an, und viele Berufsverbände stellen Muster-SOPs zur Verfügung. Nutzen Sie diese Vorlagen als Basis und passen Sie sie an Ihre Arztpraxis an.

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Wie oft muss die Risikoanalyse aktualisiert werden?

Ein häufiges Missverständnis: „Wir haben das QM-Handbuch einmal geschrieben, jetzt steht es im Regal.“ Das ist juristisch riskant. Die QM-Richtlinie fordert explizit eine kontinuierliche Weiterentwicklung und regelmäßige Überprüfung.

Wann müssen Sie Ihre Risikoanalyse aktualisieren? Unterscheiden Sie zwei Szenarien:

Der Turnus: Die QM-Richtlinie schreibt vor, den Ist-Zustand regelmäßig zu erheben und zu bewerten.

  • Best Practice: Etablieren Sie ein festes Intervall für das sogenannte „Management-Review“ (Selbstbewertung). In der vertragsärztlichen Gesundheitsversorgung hat sich der jährliche Turnus als Standard etabliert.
  • Was wird geprüft? Sind die Prozessbeschreibungen noch aktuell? Greifen die Maßnahmen zur Risikominimierung? 

Der Anlass: Warten Sie bei Veränderungen nicht auf den Jahrestermin. Laut QM-Systematik müssen Sie die Risikoanalyse sofort anpassen bei:

  1. Kritischen Ereignissen & Fehlern: Wenn Ihr CIRS-System oder eine Teambesprechung einen „Beinahe-Fehler“ aufdeckt, müssen Sie prüfen: War dieses Risiko bekannt? Wenn nein: Sofort aufnehmen. Nutzen Sie Informationen aus dem Fehlermeldesystem für die Risikoanalyse.
  2. Strukturellen Änderungen:
    • Neue Medizintechnik (Einweisung, Wartung).
    • Umbau der Praxisräume (Hygiene, Laufwege).
    • Einführung neuer Software (Datenschutz, Ausfallrisiko).
  3. Personalwechsel: Neue Mitarbeiter kennen die „ungeschriebenen Gesetze“ der Praxis nicht. Hier entstehen Risiken durch fehlende Routine. Prüfen Sie die Einarbeitungskonzepte.
  4. Patientenbeschwerden: Häufen sich Beschwerden zu einem Thema (z. B. Erreichbarkeit, Freundlichkeit)? Dies ist ein Indikator für Prozessrisiken, den Sie laut QM-RL analysieren und bewerten müssen.

Merke: Dokumentieren Sie jede Änderung (Versionierung mit Datum). Nur so können Sie im Haftungsfall beweisen, dass Ihr Risikomanagement nicht statisch, sondern „state of the art“ war.

10 Beispiele: Wo lauern die häufigsten Risiken im Praxisalltag?

Theorie ist wichtig, aber Risiken materialisieren sich in konkreten Situationen. Die Erfahrung aus Praxisbegehungen zeigt, dass es oft dieselben „Klassiker“ sind, die Ärzte und Teams angreifbar machen. Hier sind die 10 häufigsten Stolpersteine:

  1. Die „Diskretionsfalle“ am Empfang
    1. Der Empfang ist die Visitenkarte, aber auch das größte Datenschutz-Leck.
    2. Das Risiko: Eine MFA telefoniert laut über Laborwerte, während andere Patienten mithören, oder ein Rezept liegt offen lesbar auf dem Tresen.
    3. Die Folge: Verstoß gegen DSGVO und Verschwiegenheitspflicht; Beschwerden beim Landesdatenschützer.
  2. Das „blinde Vertrauen“ in den Notfallkoffer
    1. Hand aufs Herz: Wann haben Sie zuletzt das Verfallsdatum des Adrenalins geprüft?
    2. Das Risiko: Im Ernstfall sind Medikamente abgelaufen oder der Sauerstoff ist leer.
    3. Die Folge: Massive Patientengefährdung und im Schadensfall der Vorwurf des groben Organisationsverschuldens.
  3. Die Kühlketten-Problematik
    1. Besonders in Hausarzt- und Kinderarztpraxen ein Dauerbrenner.
    2. Das Risiko: Der Impfstoffkühlschrank hat kein Min/Max-Thermometer. Nach einem nächtlichen Stromausfall werden unwirksame Impfstoffe verabreicht.
    3. Die Folge: Unwirksamer Schutz für Patienten, teure Regressforderungen der Kassen.
  4. Die Dokumentationslücke
    1. „Was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht gemacht.“
    2. Das Risiko: Eine wichtige Aufklärung über IGeL-Risiken oder die Anweisung „Bei Verschlechterung sofort Klinik“ erfolgt mündlich, wird aber nicht notiert.
    3. Die Folge: Beweislastumkehr im Prozessfall. Der Arzt kann seine korrekte Handlung nicht beweisen.
  5. Informationsverlust bei Laborwerten
    1. Das Risiko: Ein kritischer pathologischer Befund kommt per DFÜ, wird aber in der digitalen Akte „nur abgelegt“ und dem Arzt nicht aktiv vorgelegt.
    2. Die Folge: Diagnoseverschleppung und Therapiefehler.
  6. Die „Hygienefalle“ bei der Instrumentenaufbereitung
    1. Ein Klassiker bei Begehungen durch das Gesundheitsamt.
    2. Das Risiko: Instrumente werden sterilisiert, aber der Prozess wird nicht korrekt dokumentiert (Chargendokumentation fehlt) oder die Freigabe erfolgt durch ungeschultes Personal.
    3. Die Folge: Im Infektionsfall (z. B. Hepatitis) kann die Praxis nicht beweisen, dass sauber gearbeitet wurde. Es drohen Praxisschließung und Strafanzeigen.
  7. Die IT-Sicherheitslücke (Ransomware)
    1. Die größte Bedrohung von außen.
    2. Das Risiko: Eine Mitarbeiterin öffnet den Anhang einer gut gefälschten Bewerbungs-E-Mail. Ein Verschlüsselungstrojaner legt das gesamte Praxissystem lahm.
    3. Die Folge: Totaler Datenverlust, Praxisstillstand über Tage, Erpressung und Meldepflicht bei Behörden.
  8. Die Delegations-Grauzone
    1. Das Risiko: Der Arzt delegiert Aufgaben an eine MFA (z. B. i.v.-Injektionen oder Wundversorgung), für die diese keine formale Qualifikation oder schriftliche Berechtigung hat.
    2. Die Folge: Passiert ein Fehler, greift das „Übernahmeverschulden“. Die Haftpflichtversicherung kann die Regulierung verweigern, da der Arzt seine Sorgfaltspflicht verletzt hat.
  9. Die Patientenverwechslung
    1. Das Risiko: Zwei Patienten im Wartezimmer haben denselben Nachnamen. Der falsche Patient wird aufgerufen und erhält eine Injektion oder ein Rezept, das für den Namensvetter bestimmt war.
    2. Die Folge: Falschmedikation mit potenziell schweren gesundheitlichen Schäden.
  10. Die vergessene Gerätewartung (STK/MTK)
    1. Das Risiko: Die sicherheitstechnischen Kontrollen (STK) für Defibrillatoren oder Anästhesiegeräte sind abgelaufen, die Geräte werden trotzdem weitergenutzt.
    2. Die Folge: Verstoß gegen das Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV). Bei einem Geräteunfall haftet der Betreiber (Arzt) vollumfänglich; Bußgelder sind auch ohne Unfall möglich.

FAQ

Welche Risiken deckt die Berufshaftpflichtversicherung ab und welche nicht?

Die klassische Berufshaftpflichtversicherung für Ärzte deckt Personen- und Sachschäden ab, die einem Dritten (Patienten) durch die berufliche Tätigkeit zugefügt wurden (z. B. Behandlungsfehler). Nicht abgedeckt sind in der Regel: vorsätzliche Handlungen, Schäden durch Cyber-Kriminalität (Datendiebstahl, Erpressung) – hierfür ist meist eine separate Cyber-Versicherung nötig und reine Eigenschäden (z. B. Umsatzausfall durch Praxisschließung ohne Sachschaden).

Drohen Sanktionen, wenn kein dokumentiertes Risikomanagement vorliegt?

Die Antwort ist ein klares Ja. Ein Verzicht auf Risikomanagement ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Doppelrisiko, das Sie berufsrechtlich und wirtschaftlich angreifbar macht.

Auf der formalen Ebene überwachen die Kassenärztlichen Vereinigungen die Einhaltung der QM-Richtlinie nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch: Sie sind verpflichtet, jährlich mindestens 2,5 % (bzw. zweijährlich 4 %) der Praxen einem externen Risiko-Audit per Zufallsstichprobe zu unterziehen. Verweigert eine Praxis die Mitwirkung oder fehlen die geforderten Nachweise, schreibt die Richtlinie Maßnahmen nach § 75 Abs. 2 SGB V vor – dies reicht von Verwarnungen bis hin zu empfindlichen Honorarkürzungen.

Weitaus gravierender als der bürokratische Ärger ist jedoch das haftungsrechtliche Risiko im „Ernstfall“. Kommt ein Patient zu Schaden und es fehlen dokumentierte Sicherheitsstandards (wie CIRS oder Checklisten), tappen Sie in die Falle der Beweislastumkehr. Das Gericht geht dann von einem Organisationsverschulden aus. Ohne lückenlose RM-Dokumentation ist es für Sie faktisch unmöglich, sich zu exkulpieren – der daraus resultierende Prozessverlust samt Schadensersatzzahlungen ist die härteste aller Sanktionen.

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Autor: Nils Buske, zuletzt aktualisiert am